Die Flut | © 733215/Pixabay | Cantus Theaterverlag
Theater / Drama

Die Flut

Tragödie einer Utopie in Bildern

Autor: Mesut Bayraktar
Instrumentierung: keine
Besetzung: Damen 4 / Herren 5
Dauer: 120–150 Min.
Spielbar ab: ab 18 Jahren

Cantus Empfehlung: »Die Flut« ist kein herkömmliches Stück. Es ist in gewisser Weise eine dramatisierte Symphonie fantastique. Daraus scheint der Zukunftsentwurf der Gegenwart vor. Es handelt von der Utopie der Postmoderne. Diese Zukunft wird in finsteres Barock gekleidet, um die Gegenwart mit dem Druck des Faktischen zu sprengen. Dabei fließen zahlreiche referenzielle Verklärungen und Verzerrungen mit Bibel-Psalmen, Koran-Suren und philosophischen Denkschulen von der Antike bis zur Neuzeit zusammen. Dystopie und Utopie, Verzweiflung und Hoffnung prallen aufeinander und zertrümmern Fetischismen, sodass letztlich die bleiben, die durch sie hindurch gingen, nämlich: Tatsachen. Das Stück ist ein Modell für ein planetarisches Theater unter dem Gesichtspunkt der Klassendramatik. Auf die Flut folgt bekanntlich die Ebbe, aber nur jene werden die Ebbe erleben, welche der Flut getrotzt haben, zum Beispiel mit einem Floß aus Holz.

Babylonia ist eine tote Vulkaninsel in einer posthistorischen Gegenwart. Dort herrschen die Oligarchen NERO und DIDO. Ihr Reichtum fußt auf den Tiefseebaggern. Mit ihnen lassen sie Gold aus dem Meeresboden schürfen – eine neue ursprüngliche Akkumulation. Im Turm von Babylonia hängt eine große Diskokugel. Mit den Wellenschlägen pendelt sie hin und her, ihr Name: »Erde«. Hier zelebriert sich die Gewalt als ökomische Potenz in der Geschichte. Daneben gibt es die Welt der Tiefseeminenarbeiter, LEA und LEO. Trotz ihrer Warnungen lässt NERO eine neu entdeckte Goldmine ausräumen. Die Folge ist die Entfesselung einer Flut, die geradewegs auf Babylonia zusteuert. Es gibt nur eine Rettung: die Flucht aus Babylonia. Doch warum sollten NERO und DIDO das zulassen?

Besetzung/Rollen/Charakter

Allgemein:

Es gibt 10 Figuren, DIE FLUT ist die elfte. Jede Figur hat eine allegorische Struktur, alle zusammen verkörpern das Ensemble eines fabelhaften Theaters. Unter ihnen sind 7 Charaktere: NERO, DIDO, HORDE, KREISEL, GENERAL, LEO, LEA.

Anmerkungen zu der Besetzung der Sieben:

  • 7 ausgebildete, professionelle Schauspieler sind erforderlich. Diese Figuren fordern ein hohes Maß an gestischer und sprachlicher Akkuratesse und Feinfühligkeit. Den Schauspielern werden plötzliche Beschleunigungen wie Entschleunigungen im Sprechen abverlangt. Außerdem haben alle Figuren, v.a. die 7, eine stark ausgeprägte Sexualität, die sie gleichsam unterdrücken. Schauspieler sollten diese zwangsförmige Psychologie dezent darstellen können.
  • Es ist von Vorteil, wenn KREISEL von einer Person gespielt wird, die tanzen kann und Erfahrungen im Gesang hat.
  • HORDE ist kein Narr. Er meint alles todernst.
  • NERO, DIDO, KREISEL, GENERAL dürfen nicht im Dialekt sprechen. Bei den anderen Figuren ist es der Regie überlassen.
  • LEA ist eine Art Jeanne d’Arc.
  • LEO ist erfüllt von einem stoischen Nihilismus. Er ist vom Typ eines heiligen Antonius nach Gustav Flauberts »Versuchungen«. Ebenso träge muss er auftreten und sprechen. Er liebt LEA. LEA versteht diese Liebe nicht.

Anmerkungen zu der Besetzung der Übrigen:

  • SCHATTEN ist eine performative Figur. Er tritt nur performativ in Aktion, v.a. immer mit dem GENERAL. Daher kann es sinnvoll sein, wenn er von einem Performancekünstler gespielt wird. Das ist jedoch nicht zwingend notwendig.
  • DIE EINE und DER ANDERE treten immer in Masken auf. Obwohl sie auch in ihren Szenen sprechen, ist es möglich, sie mit Statisten/Laien zu besetzen. Sie sind Jedermann-Menschen.
  • DIE FLUT ist keine Figur im eigentlichen Sinn des Wortes. Sie ist eine menschengemachte Naturgewalt, also nicht nur naturwüchsig. Im 9. Bild tritt sie auf. Darstellbar ist sie durch das synchrone Sprechen aller Schauspieler oder durch das Zusammenschließen aller zu einem Chor, welcher sich wie ein Schwarm im Wasser bewegt. Die FLUT darf aber nicht von einer Person gespielt werden. Entweder tritt sie personenlos und damit nur visuell-akustisch oder mit mehreren, zusammengeschlossenen Personen auf.

Folgend die Auflistung aller Rollen mit Anmerkungen zur Auftrittsweise, wie sie im Theatertext vorgestellt werden:

  • NERO (agile Bewegungsweise)
  • DIDO (raucht Zigaretten mit einer langen, schmalen Zigarettenspitze)
  • HORDE (enthaart, bleich, leicht buckelig, trägt eine Unterhose oder sehr kurze Hose)
  • KREISEL (hat auf dem Rücken eine Drehkurbel, eine Balletteuse, stark geschminkt mit einem zur Maske erstarrten Gesicht)
  • GENERAL (übersät mit Abzeichen und Orden, fettleibig, sitzt im Rollstuhl mit Sauerstoffröhren in der Nase, wird von SCHATTEN bewegt)
  • SCHATTEN (mehr als ein Bühnendiener, aber Bühnendiener, gesichtslos)
  • LEO
  • LEA
  • DIE EINE (immer in Masken)
  • DER ANDERE (immer in Masken)
  • DIE FLUT

Bühnenbild/Inszenierung

Die Szenen sind, wie im Untertitel ausdrücklich betont, Bilder. Jede Szene ist demnach wie ein selbstständiges Bild zu gestalten. Je nach Kapazitäten des Theaters kann in jeder Szene der Bühnenraum mit Requisiten und technischen Kunststücken ausgefüllt werden oder, sofern man mit wenig Material/Aufwand das Stück realisieren möchte, kann man stattdessen mit Projektionen jedes Bild konstruieren. Letzteres kann besonders spannend werden. Beide Varianten sind möglich. Ein hoher technischer Aufwand und hohe technische Bühnenkapazität sind somit nicht erforderlich, auch wenn das erst so scheint. Im Übrigen könnte das Stück ebenso im Direktionszimmer eines Hedge-Fonds oder einer Bank, im Amtszimmer eines Regierungschefs oder Managers, in einer Steueroase oder Villa, in der Karibik oder in einem Diamantenbergwerk in Afrika spielen.

Impuls war ein Bericht des »The Economist«. Es handelte vom sogenannten Under-Sea-Mining, in dem ich sinnbildlich den Komplex Ökologie-Ökonomie-Fortschritt sah. Auch solche Elemente lassen sich illustrativ einbauen.

Dauer:

  • Je nach Regiekonzept zwischen 105 Minuten und 135 Minuten.

Ausführliche Synopsis

Im Nebel eines Vulkankraters eröffnet KREISEL das Stück. Anschließend treffen der GENERAL, HORDE, LEO und LEA aufeinander. Der GENERAL befiehlt ihnen sich in die Tiefseeminenbagger zu setzen und eine neu entdeckte Goldmine im Meeresboden auszugraben. LEA weigert sich und warnt davor, dass das eine Flut auslösen wird. Doch auf Drohung des GENERALS gehorchen die übrigen Tiefseeminenarbeiter und gehen. LEA und LEO hingegen werden die Löhne gekürzt. Sie werden auf eine Liste gesetzt.

Nachdem der GENERAL verschwindet, gibt es eine Unterredung zwischen LEA und HORDE. Sie freunden sich an und HORDE verspricht LEA, die Türen zu öffnen, wenn sie ihn auf Babylonia „besuchen“ kommt. HORDE arbeitet für NERO und DIDO, denen die Vulkaninsel Babylonia und die Bagger gehören. Sie sind Oligarchen, HORDE ist ihr Diener.

Im Anschluss an eine Szene am Meeresboden treten NERO und DIDO auf. Während DIDO sich von HORDE anziehen lässt, kehrt NERO vom wüsten, dürren Festland zurück, wo er Geschäfte abgewickelt hat. Viele Menschen von dort wollen nach Babylonia. Denn ein atomarer Weltkrieg hat das Festland toxisch gemacht. Indessen verschwindet HORDE unter dem Kleid von DIDO. Obwohl sie das gewünscht hat, beschuldigt sie ihn, sich an ihr vergriffen zu haben und ruft NERO zur Hilfe. In seiner Wut kastriert er ihn. Er verschwindet mit DIDO im Schlafzimmer und möchte sich erholen, da am Abend, wie jeden Abend, eine Feier auf Babylonia stattfinden wird. Als sie weg sind, kommt es zum sexuellen Übergriff an KREISEL durch den GENERAL, der sie als Kriegsbeute auf die Insel geschleppt hat.

Nun brennen die Ozeanplattformen und das Meer schlägt Wogen, Folgen des Under-See-Minings. LEA, die vor solchen Konsequenzen gewarnt hat und daher das Vertrauen der anderen genießt, übernimmt eine führende Rolle in dem Aufstand der Tiefseeminenarbeiter. Sie beschwört sie, Babylonia zu stürmen, das Schiff von NERO und DIDO an sich zu reißen und mit ihm zum Festland zu gelangen. Dabei wäre die Flut ihre Verbündete. Dort, so ihre Vision, ist ein grüner Berg mit einem blauen Himmel und rotbetuchten Apfelbäumen. Sie folgen ihr. Anschließend kommt DIE FLUT zu Wort. Im „goldumwundenen Babylonia“ kommt es zum dramatischen Höhepunkt. Das Ende ist tragisch, denn ob der Plan LEA gelingt, wird von KREISEL abhängen, da HORDE sie verrät und NERO die übrigen mit dem Glanz des Goldes verführt.

Presse

Ich weiß nicht, ob das hierein gehört:

Das Gedicht, das im dritten Bild von KREISEL gesungen wird, wurde für die erste Anthologie im Ulrich-Grasnick-Lyrikwettbewerb 2017 ausgewählt. Die Anthologie ist im November 2018 im Quintus-Verlag erschienen: http://www.quintus-verlag.de/buecher/wenn-wir-den-atem-anhalten.html

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